Erste Eindrücke

Fotos von Yasemin Eckert

 

im zug
Passagiere im Zug

 

 

regen
Kalkutta im Regen

 

 

zimmer
Mein Zimmer

 

 

terasse
Blick von meiner Terasse

Ankunft in Indien


Am 22. September 2008 landete mein Flugzeug frühmorgens auf dem Indira Gandhi International Airport in Neu Delhi. Nach einer mehr als zehnstündigen Flugzeit stieg ich mit etwas steifen Bewegungen aus der Maschine und folgte der Menge zum Gepäckband, um meinen Reiserucksack in Empfang zu nehmen. Schon im Flughafen war der klimatische Unterschied deutlich spürbar, und schließlich verschlang mich die Hitze augenblicklich, als ich das mächtige Gebäude verließ, um mir einen Bus zu suchen, der mich zur Zugstation bringen sollte. Ich befand mich nun in Delhi, aber mein eigentliches Reiseziel war Kalkutta, die Hauptstadt des indischen Bundesstaates Westbengalen. Dort sollte ich einen Praktikumsplatz bei der Times of India antreten, einer in ganz Indien publizierten, englischsprachigen Zeitung.
Da ich bereits zuvor zwei Reisen nach Indien unternommen hatte, sah ich bei der Buchung meines Fluges kein Problem darin, dass Delhi mehr als eintausendvierhundert Kilometer von meinem eigentlichen Ziel entfernt lag. Ich war schon des Öfteren in indischen Zügen unterwegs gewesen und stellte mir daher vor: einfach zum Bahnhof zu gehen, ein Ticket zu buchen und problemlos zu meiner Gastfamilie nach Kalkutta zu fahren, die mich schon erwarten würde. Allerdings war dies schwerer als gedacht.
Ich fand nicht gleich zum Bahnhof. Stattdessen folgte ich einem hilfsbereiten Jungen in ein Reisebüro, das mir in meinem übermüdeten Zustand und aufgrund meiner vom Lärm malträtierten Ohren wie eine Oase erschien. Dort wurde ich in einen klimatisierten Raum geschoben, mit Tee versorgt und konnte für einen Moment Luft holen und Abstand gewinnen, von dem was ich innerhalb nur einer Stunde an Eindrücken zu hören, zu sehen und zu riechen bekommen hatte: Ein Meer von Autos in den Straßen, dazwischen Menschen, die sich durch das hupende Blechgewirr kämpfen, Motorräder, Fahrräder, Lastensträger, staubige Straßen, an deren Ränder abgemagerte Frauen hocken.
Dagegen war mir das Reisebüro eine ruhige und kühle Insel. Doch sagte man mir nun, es gäbe am heutigen Tage keinen Zug mehr, weshalb ich in ein Hotel müsse und erst am nächsten Tag nach Kalkutta aufbrechen könne. Ich hielt es für einen Trick, um mir noch einen Hotelaufenthalt zu überhöhten Preisen aufzuschwatzen. Zudem drängte sich mir ein nicht allzu diskreter Mitarbeiter auf und wollte nicht von meiner Seite weichen. Als ich schließlich nach einigen verwirrenden Versuchen, mich in den Straßen alleine zurechtzufinden, am nächsten Tag endlich nach Kalkutta aufbrechen konnte, war ich heilfroh.
Auch genoss ich die Erfahrung, dass indische Züge sehr komfortabel sein können; so kann man sich für Europäer ziemlich preiswert in ein Liegewagenabteil einbuchen. Dies ist vor allem von Vorteil, da man aufgrund der großen Strecken in Indien bisweilen auch nachts reist. Essen wird serviert und man kann das rege Leben beobachten: wie die Passagiere sich unterhalten, Karten spielen, Zeitung lesen, andere ihr Radio so laut stellen, dass ihre Musik auch die Mitreisenden unterhält oder ab und zu ein Teeverkäufer mit einer riesigen Kanne Chai, einem süßen Milchtee, kommt, den man hier zu jeder Gelegenheit schlürft. Die Zugfahrt ist trotz all des recht unruhigen Treibens an Bord eine herrliche Sache. Man lässt die Landschaft vorbeiziehen und kann sich langsam an das gewöhnen, was einem im Laufe seines Aufenthaltes wesentlich intensiver begegnen wird.
Dennoch hatte ich keine Ahnung von dem, was mich am Bahnhof in Kalkutta erwarten würde: Eine Unmasse an Menschen drängte zum Ausgang. Die Reisenden kletterten über Packen und Pakete, über auf dem Boden schlafende Menschenbündel und allemal war Vorsicht geboten, dass man nicht etwa auf einen der herrenlosen Hunde tritt, die zahlreich auf den Bahnsteigen herumstreunten. Vor dem Bahnhof erwartete eine Flut gelber Taxen die Reisenden, wobei sämtliche Fahrer versuchten Passagiere in ihr Fuhrwerk zu lotsen und zu überhöhten Preisen zum Ziel zu chauffieren.
Auch ich entschied mich für ein Taxi und gelangte so von Howrah aus über eine Brücke, in die vom Hugli Fluss geteilte Stadt. Bis wir allerdings diese Brücke erreicht hatten, musste der Fahrer sein Fahrzeug mit viel Geschick durch den stockenden Verkehr manövrieren. Und dabei galt es, auf die per hand gezogenen Fuhrwerke am Straßenrand zu achten, die, überladen und schwerfällig wie sie waren, neben den motorisierten Karossen kaum vorankamen. Der Gestank der Müllberge, die sich am Straßenrand türmten und unter der Hitze gärten, verstörten meine Geruchsnerven in einem solchen Ausmaß, dass ich den Smog der Autos nur noch minder vernahm.
Endlich erreichte ich die Wohnung meiner Gastfamilie, nachdem ich mit der Metro und ein weiteres Stück wiederum in einem Taxi gefahren war. Am Ziel angekommen empfing man mich sofort freundlich. Und sowohl die Größe als auch die Gemütlichkeit meines Zimmers überraschten mich derart positiv, dass ich mir intuitiv sicher war, ich würde mich hier wohl fühlen. Es gab nur ein Problem. Ich hatte von Delhi aus den für mein Praktikum zuständigen Mitarbeiter angerufen, der nur kurz und bündig meinte, ich müsse ungefähr anderthalb Monate auf einen Praktikumsplatz warten. Entsprechend verunsichert kam ich an und versuchte alsbald mich nach alternativen, sinnvollen Beschäftigungsmöglichkeiten umzusehen. Dennoch meldete ich mich auch bei der Times-of-India-Redaktion und bekam dank meiner Hartnäckigkeit auf diese Weise doch die Möglichkeit, nach drei Tagen vorzusprechen.
Nun sitze ich in den gut klimatisierten Redaktionsräumen der Times of India und schreibe für den Kolkata Mirror; das ist die Internet Ausgabe der Lokalzeitung Kalkuttas, eine Abteilung der Times of India. Bislang bin ich als Praktikantin völlig auf meine eigenen Ideen gestellt und von mir wird erwartet, dass ich eine Art Mind Mapping erstelle. Das bedeutet, ich muss selbst Ideen entwickeln und über Themen, die mir sinnvoll erscheinen, Artikel verfassen. Doch natürlich ist das für jemanden mit der Stadt nicht Vertrauten kein einfaches Unterfangen. Dementsprechend gespannt bin ich, was mich die nächsten Wochen über diese Stadt, ihr Kulturleben und das journalistische Schreiben lehren werden. Heute ist mein dritter Tag in der Redaktion und das motivierende Geklapper der Computertastaturen um mich herum wird mir vielleicht auch beim erwarteten Mind Mapping behilflich sein.